In den Morgenstunden vom 03.06.2023 wurde der damals 19-jährige Bilel aus Herford von der Polizei in einer Sackgasse mit 34 Schüssen beschossen. Von 13 anwesenden Polizist*innen schossen und trafen Bilel mindestens 8 mal. 6 Kugeln mussten in komplizierten Operationen unter anderem aus seinem Schädel, Hals und Rücken entfernt werden. Bilel ist seitdem querschnittsgelähmt. 
Was ist der Grund für die Gewalt, die er erfahren hat? Bilel ist angeblich ohne Licht mit dem Auto gefahren, woraufhin eine zivile Streife ihn kontrollieren wollte. Er habe sich einer Verkehrskontrolle entzogen, indem er davon gefahren seiDabei schlossen sich vier weitere Polizeifahrzeuge an. Die gesamte Situation endet, als Bilel in eine Sackgasse fährt, von insgesamt 5 Fahrzeugen der Polizei umstellt wird  und sechs der 13 anwesenden Polizist*innen entscheiden 34 Mal auf ihn und das Auto zu schießen. Sie geben an, aus Notwehr gehandelt zu haben.
 
Was ist passiert?
Die Nacht, die anschließende Berichterstattung sowie die polizeiliche Arbeit ließ viele Fragen offen und Familie, Freunde und Bekannte in Unverständnis, Wut und Trauer zurück. Die Darstellungen der Polizei, an denen auch die Staatsanwaltschaft zu jenem Zeitpunkt zweifelte, waren widersprüchlichwurden aber unhinterfragt durch verschiedene Medien sowie von Politikern verbreitetEtwa sei Bilel mit quietschenden Reifen und aufheulendem Motor auf die Polizei zugefahren. Demgegenüber berichten
Anwohner*innen, dass das Auto eingekeilt war. Ein späteres Gutachten der Staatsanwaltschaft belegt darüber hinaus, dass Bilel in der Sackgasse keine hohe Geschwindigkeit hätte aufnehmen können. Bilel wurde von Beginn an als Gefahr dargestellt, auf den rechtmäßig geschossen wurde. Bei 34 Schüssen in einer Sackgasse auf einen unbewaffneten 19-Jährigen ist das  schwer verständlich. Wir sehen darin einen weiteren Fall von schwerer Polizeigewalt, die aufgearbeitet werden muss, damit sie in Zukunft verhindert werden kann.
 
Was ist danach passiert? 
Es wurden Demonstrationen am 15.07.2023 und 07.10.2023 organisiert, um die Wut und Trauer auf die Straße zu tragen und uns den Raum für unsere Forderungen nach Gerechtigkeit und Aufklärung zu nehmen.
Die erste Demo wurde bereits im vorhinein massiv kriminalisiert. Den max. 500 Demoteilnehmer*innen stand dann auch vor Ort ein übermäßigePolizeiaufgebot, inklusive Pferde- und Hundestaffel sowie Drohnen gegenüber. Auch hier übernahm die Lokalpresse in ihrer Berichterstattung unhinterfragt die Darstellungen der Polizei und verbreitete rassistische Narrative, bei der die Demonstrant*innen als Gefahr dargestellt wurden.
Auch die zweite Demo war mit diversen Provokationen seitens der Polizei konfrontiert. 
Neben den Demonstrationen wurden weitere Veranstaltungen organisiert, etwa eine Lesung von Şeyda Kurt sowie eine Diskussionsveranstaltung, um über die Rolle der Lokalpresse zu diskutieren.
 
Was ist der aktuelle Stand?
Gegen die 6 Polizist*innen die geschossen haben, wurde nach dem Einsatz eine Ermittlung wegen versuchter Körperverletzung im Amt eingeleitet, eine Formalia nach jedem Schusswaffeneinsatz im Dienst. Inzwischen laufen nur noch 2 der Ermittlungsverfahren, gegen die Polizist*innen, die die potenziell tödlichen Schüsse abgegeben haben. Allerdings kann angeblich genau die Kugel, die Bilel im Schädel getroffen hat und damit potenziell tödlich war, nicht zugeordnet werden.
Gegen Bilel wird seit dem Tag, an dem auf ihn geschossen wurde und er im Koma lag, wegen versuchten Mordes ermittelt. In einer Sondersitzung im Landtag besteht man auf die Unschuldsvermutung für die Polizist*innen, für den Angeschossenen hat sie nie gegolten. 
Auch wenn unklar ist ob und wann es zu einer Anklage oder einem Prozess gegen Bilel und die beteiligten Polizist*innen kommen wird, beschäftigt uns die Frage nach Gerechtigkeit für Bilel. 
 
 
Wer sind wir und was machen wir?
Bilel hätte jeder unserer Brüder und Freunde sein können. Wir hätten es sein können. Wir können nicht verstehen, wie die Polizei 34 Mal auf einen unbewaffneten 19-Jährigen schießen kann. Allein die Ermittlungen spiegeln in unseren Augen einen verschobenen Diskurs wieder. Aber auch die Berichterstattung macht deutlich, wie wenig Gewalt von der Polizei hinterfragt wird. Wir sind ein Zusammenschluss aus Einzelpersonen, die deshalb auf den Fall von Bilel aufmerksam machen möchten und die Forderungen nach Gerechtigkeit und Aufklärungen in der Öffentlichkeit vertreten.

Wie wird es weitergehen?
Wir gehen davon aus, dass die aktuell laufenden Ermittlungen dieses Jahr beendet werden. Anschließend kann es zu einer Anklageerhebung sowohl gegen Bilel als auch einige der Polizist*innen kommen.
Wir glauben aber nicht, das ein Gerichtsurteil wirklich Gerechtigkeit herstellen kann. Die Gewalt die Bilel erfahren hat und die tiefen Wunden, die dieser Polizeieinsatz auch in der Stadt gerissen hat, können in unserer Perspektive nicht durch ein Urteil geheilt oder aufgewogen werdenWir fragen uns deshalb vielmehr: wie kann Gerechtigkeit unabhängig vom Urteil oder darüber hinaus gedacht werden? Was bedeutet Gerechtigkeit für Bilel?